NRW-Kommunalwahlen 2025: Rechtsruck im Ruhrgebiet? Was die Zahlen andeuten

NRW-Kommunalwahlen 2025: Rechtsruck im Ruhrgebiet? Was die Zahlen andeuten

Von Maximilian

NRW-Kommunalwahlen 2025: Machtverschiebung im Westen?

Ein politischer Riss geht durch das Ruhrgebiet. Ausgerechnet dort, wo die SPD jahrzehntelang Wahlen gewann, rechnen Demoskopen jetzt mit deutlichen Zugewinnen für die AfD. Rund 13,7 Millionen Menschen sind in Nordrhein-Westfalen im September 2025 zur Wahl aufgerufen. Es geht um Bürgermeisterämter, Landräte und die Mehrheiten in Räten und Kreistagen – und um ein Signal, das weit über NRW hinausreicht.

Die Wahlen sind der erste große Test seit dem Start der schwarz-roten Bundesregierung. Bundeskanzler Friedrich Merz hat bereits klargemacht, dass er die Ergebnisse genau lesen und politische Schlüsse daraus ziehen will. Diese Ansage erhöht den Druck: Was lokal entschieden wird, könnte bundespolitische Debatten scharf drehen.

Der Forsa-Chef Manfred Güllner sieht die AfD in NRW auf „Westwanderung“ – also mit Chancen, in Regionen vorzudringen, in denen sie bisher schwächer war. Politikwissenschaftler Oliver Lembcke nennt Gelsenkirchen und Duisburg als Beispiele. Dort treffen alte Industrieprobleme, ein schwieriger Arbeitsmarkt, geringe Steuereinnahmen und Zuzug aufeinander. Dieses Gemisch sorgt für Unmut – und öffnet populistischen Botschaften Türen.

Besonders auffällig: die Wählerwanderung aus dem SPD-Milieu. Arbeiter, Angestellte im Schichtdienst, Menschen, die früher „ihre“ Partei kannten, fühlen sich nicht mehr vertreten. Viele wenden sich von der SPD ab und wählen AfD – nicht aus Überzeugung in jedem Punkt, sondern als Protest. Die AfD wird zur Resonanzkammer für Frust über hohe Gebühren, kaputte Straßen, volle Ämter und das Gefühl, dass sich nichts bewegt.

Historisch ist das eine Zäsur. Das Ruhrgebiet war über Jahrzehnte die sichere Bank der Sozialdemokratie: Kumpel, Stahl, starke Gewerkschaften, kommunale Wohnungsgesellschaften – eine verlässliche Hausmacht. Doch seit Jahren laufen die Bindungen aus. Der Strukturwandel zieht sich hin, Fördergelder verpuffen aus Sicht vieler Bürger in Projekten, die man nicht sieht, während Schulgebäude bröseln und Busse ausfallen.

Auch die CDU darf sich nicht sicher fühlen. Sie regiert zwar auf Landes- und Bundesebene mit, doch die kommunale Ebene folgt eigenen Regeln. Persönlichkeiten zählen. Amtsinhaber mit sichtbar reparierten Sportplätzen, sanierten Kitas und kurzen Wegen im Rathaus können gewinnen – egal, welche Partei auf dem Plakat steht. Umgekehrt können Parteien verlieren, wenn ihr Ruf im Bund schadet, selbst wenn die Arbeit vor Ort solide ist.

Was macht die Lage im Ruhrgebiet so speziell? Die Kommunen tragen hohe Sozialausgaben, aber ihre Einnahmen wachsen kaum. Viele Städte stemmen Integrationsarbeit, Jugendhilfe, Unterkunftskosten und steigende Energiekosten. Gleichzeitig müssen sie in Klimaschutz investieren – etwa in Hitzeschutz an Schulen oder grüne Flächen – und in Verkehr, Brücken, digitale Verwaltung. Das alles überfordert Haushalte, die seit Jahren auf Kante genäht sind.

Hier dockt die AfD an. Sie verspricht, Migration strikt zu begrenzen, Gebühren zu senken, Bürokratie zu kappen und „Ordnung“ zu schaffen. In Debatten über Sicherheit, Vermüllung oder Fairness bei Sozialleistungen trifft sie einen Nerv. Ob sie Lösungen anbieten kann, steht auf einem anderen Blatt. Aber im Wahlkampf reicht es oft, den Ärger zu bündeln.

Die SPD setzt auf Kümmerer-Politik: Sprechstunden in Stadtteilen, viel Präsenz vor Ort, schneller reagieren auf Anträge, weniger Papierkram. Sie will zeigen, dass sie wieder nah dran ist – bei Wohnungsmangel, Schulsanierungen und Nahverkehr. Die CDU versucht, beides zu verbinden: Härte bei Innerer Sicherheit und pragmatische Angebote für Mittelstand und Vereine. Die Grünen treten mit Klima-Anpassung, sauberer Luft und lebenswerten Stadtzentren an – Themen, die in vielen Ruhr-Kommunen inzwischen Alltag sind. Die Linke fokussiert Mieten, Energiepreise, Sozialtickets. Liberale und lokale Wählergemeinschaften werben mit Wirtschaft, Finanzen und „unideologischen“ Lösungen.

Ein Blick zurück: Bei den Kommunalwahlen 2020 haben die großen Parteien in vielen Städten Federn gelassen, die Grünen legten zu, und die AfD holte teils zweistellige Ergebnisse in strukturschwachen Vierteln. Seitdem hat sich die Stimmung nicht beruhigt – Energiepreise, Inflation, Fachkräftemangel und anhaltender Sanierungsstau halten den Druck hoch. Wer heute mit Stadtverwaltungen spricht, hört überall: Personal fehlt, Verfahren dauern, Baukosten explodieren.

Die AfD profitiert von dieser Stau-Müdigkeit. Gleichzeitig steht sie beim Regieren vor Ort vor Hürden. In Räten braucht es Mehrheiten und Partner. Solange andere Fraktionen Kooperationen ausschließen, bleibt die AfD häufig in der Opposition. Ihre Stärke wirkt dann indirekt: Sie besetzt Ausschusssitze, prägt Debatten, zwingt andere, Positionen zu schärfen. Das reicht, um die politische Kultur zu verändern.

Für Berlin wird NRW zum Seismografen. Verliert die SPD weiter Arbeiter- und Angestelltenmilieus, ist ihre Erzählung von sozialer Verlässlichkeit angeschlagen. Holt die CDU in Städten nicht auf, leidet ihr Anspruch, „zu können, was die Leute brauchen“. Gehen die Grünen zurück, schwächt das den Klimafokus in kommunalen Haushalten. Und ein starkes AfD-Ergebnis in westdeutschen Großräumen verschiebt das Kräftefeld auch bei Bundesdebatten – etwa zu Migration, Innerer Sicherheit und Sozialstaat.

Gleichzeitig gilt: Kommunalwahlen sind Persönlichkeitswahlen. Amtsinhaber, die sichtbar liefern, haben Vorteile. In vielen Städten entscheidet die Stichwahl um das Rathaus über Bündnisse in den Räten. Unabhängige Kandidaten können Zünglein an der Waage sein. Und lokale Listen sind stärker, als es Umfragen abbilden – sie punkten mit Projekten auf der Straße statt mit Programmen auf Landesebene.

Welche Themen bringen tatsächlich Stimmen? Vier Felder stechen heraus: Wohnen, Bildung, Ordnung, Mobilität. Wer bezahlbare Wohnungen schafft, Schulsanierungen beschleunigt, Sauberkeit und Sicherheit sichtbarer macht und Busse pünktlich fahren lässt, hat eine Story, die ankommt. Klingt banal – ist aber der Alltag, an dem sich Parteien messen lassen.

Was die Entscheidung treiben dürfte

Ein paar Hebel werden den Ausschlag geben. Erstens: Geld. Kommunen brauchen Planungssicherheit. Kommen vom Bund und vom Land auskömmliche Mittel für Unterkünfte, Integration und Infrastruktur? Und dürfen Städte sie flexibel einsetzen, ohne an zu viele Förderkriterien gebunden zu sein? Wenn nicht, wächst der Frust – bei Bürgern und Rathäusern.

Zweitens: Tempo. Eine Baugenehmigung, die 18 Monate dauert, frisst Vertrauen. Wer Verfahren beschleunigt, digitalisiert und Zuständigkeiten klärt, punktet. Sichtbare Fortschritte – neue Haltestelle, erneuerte Brücke, offene Turnhalle – zählen mehr als jede Parteirede.

Drittens: Sicherheit und Respekt im öffentlichen Raum. Es geht nicht nur um Kriminalität, sondern auch um Präsenz von Ordnungskräften, Konfliktlotsen in Brennpunkten, stärkere Quartiersarbeit. Wo Stadtteile kippen, kippt oft auch das Wahlergebnis.

Viertens: Glaubwürdigkeit bei Integration. Wer Deutschkurse, Ausbildung, Arbeit, klare Regeln und konsequente Durchsetzung zusammenbringt, nimmt Druck aus Debatten, in denen sonst nur noch Schlagworte bleiben. Das Ruhrgebiet kennt Zuwanderung seit Generationen – es braucht funktionierende Strukturen, keine Symbolkämpfe.

In Gelsenkirchen und Duisburg schaut die Republik genauer hin. In Essen und Dortmund könnte die AfD zweistellig werden, wenn sie den Protest mobilisiert. Mittelstädte wie Herne, Marl, Recklinghausen, Oberhausen, Hagen oder der Kreis Wesel werden ebenfalls zum Stimmungsbarometer – je nach Stadtteil sehr unterschiedlich. Ein und dieselbe Stadt kann im Süden grün und bürgerlich, im Norden frustriert und AfD-affin wählen.

Was bedeutet das für den Wahlabend? Mehrere Szenarien sind denkbar: Die AfD wächst stark, bleibt aber isoliert; SPD und CDU verlieren, sichern aber mit Grünen, FDP oder lokalen Listen Mehrheiten; in manchen Räten entstehen ungewöhnliche Bündnisse, weil Sachfragen den Ausschlag geben. Möglich ist auch, dass beliebte Amtsinhaber Wellen glätten und stärker abschneiden als ihre Parteien.

Für die SPD im Westen ist das ein Identitätstest. Gewinnt sie die Werkhallen, die Busfahrer, die Pflegekräfte zurück? Sie setzt dafür auf Tariftreue bei städtischen Aufträgen, faire Mieten und gebührenfreie Kitas. Die CDU wirbt mit Verlässlichkeit, Ordnung und einer Wirtschaftsoffensive für Handwerk und Mittelstand. Die Grünen drängen auf klimaresiliente Stadtplanung, weniger Autoverkehr in Zentren und bessere Luft – mit Fördergeld-Paketen, die man spürt, nicht nur liest. Die Linke fordert mehr kommunalen Wohnungsbau und Sozialtickets, die FDP schnellere Verfahren und digitale Rathäuser.

Ein Stolperstein bleibt die Kasse. Ohne Entschuldungspfade und verlässliche Transfers von Bund und Land ist die kommunale Erzählung schwer. Wer nur spart, verliert Zukunft; wer nur ausgibt, verliert die Bilanz. Die Kunst ist, wenige große Projekte zu liefern, die jeder sieht: eine saniert-öffnende Schule, ein neues Quartierszentrum, ein Taktversprechen im ÖPNV, das hält.

Und die AfD? Sie wird weiter vom Unmut leben – je schärfer die Debatten, desto lauter ihr Echo. Ob sie in die Rathäuser kommt, hängt von Stichwahlen ab. In Räten bleibt sie vielerorts außen vor, prägt aber die Agenda. Das zwingt die anderen, klarer zu argumentieren, Zahlen vorzulegen und Projekte durchzuziehen.

Am Ende entscheidet die Sichtbarkeit. Wer Menschen zeigt, dass sich ihr Alltag wirklich verbessert – weniger Papierkram, schnellere Termine, saubere Parks, sichere Schulwege –, der gewinnt Vertrauen zurück. Das gilt in Bochum wie in Bottrop, in Dortmund wie in Dinslaken.

Zur Einordnung, worauf es konkret ankommt, hier die Brennpunkte im Überblick:

  • Gelsenkirchen, Duisburg: Hohe Erwartungen an Sicherheit, Sauberkeit, Integration; AfD mit Rückenwind, SPD und CDU mit Amtsbonus einzelner Kandidaten.
  • Essen, Dortmund: Geteilte Stadtlandschaften; starke Viertelkontraste entscheiden über Ratsmehrheiten.
  • Mittlere Städte (Herne, Oberhausen, Recklinghausen, Hagen, Marl): Enge Rennen, lokale Listen und Persönlichkeiten oft entscheidend.
  • Landkreise am Rand des Ruhrgebiets: Themenmix aus Pendlerverkehr, Flächenentwicklung und Gewerbeansiedlungen; CDU traditionell stärker, AfD im Aufwind.

Bis zum Wahltermin bleibt Zeit – für Haustürwahlkampf, greifbare Entscheidungen und die Frage, ob die AfD ihren Vorsprung in Frustlagen hält. Für den Bund wird NRW zum Lackmustest: Trägt die schwarz-rote Koalition ihre Versprechen in den Alltag der Städte? Die Antwort gibt der Wahlzettel – Straße für Straße, Viertel für Viertel. Wer hier überzeugt, setzt den Ton für das politische Jahr danach.

Für Suchende nach harten Fakten: Es wählen rund 13,7 Millionen Menschen, der Termin liegt im September 2025, es geht um Räte, Kreistage, Bürgermeister und Landräte. Analysten wie Güllner und Lembcke sehen Chancen für die AfD vor allem dort, wo der Strukturwandel am härtesten spürbar ist. Die Parteien stellen sich darauf ein – mit sehr unterschiedlichen Rezepten. Der Westen wird zum Prüfstand für die Mitte der Republik.

Ein letzter Punkt, den viele unterschätzen: Kommunikation. Wer verständlich erklärt, warum Dinge dauern, was als Nächstes passiert und wie Bürger mitmachen können, baut Brücken. In Wahlkämpfen zählt nicht nur das „Was“, sondern auch das „Wie“. Genau dort liegt für SPD und CDU die Chance, wieder Resonanz zu finden – und für die AfD das Risiko, wenn sie Antworten schuldig bleibt.

Die NRW Kommunalwahlen 2025 sind damit mehr als eine lokale Formalie. Sie sind ein Stimmungstest für die Bundesregierung, ein Standortcheck für das Ruhrgebiet und eine Richtungsentscheidung für die politische Mitte. Und sie sind eine Einladung an alle, die seit Jahren sagen: „Redet nicht. Macht.“